(Stand: November 2019)
Die Glykogenose Typ IX (auch Glykogenose Typ 9, Glykogen-Speicherkrankheit Typ IX, engl. Glycogen Storage Disease IX, GSD IX) macht rund 25% der Glykogenose-Fälle aus. Der Typ IX wird weiter unterteilt in verschiedene Subtypen IXa / IXb / IXc / IXd, die sich unterschiedlich bemerkbar machen: Je nach Subtyp sind in erster Linie die Leber oder die Muskulatur oder beide betroffen.
Früher wurde die Glykogenose Typ IX oft als milde Stoffwechselstörung bezeichnet, die sich im Jugendalter verwächst. Diese Ansicht ist überholt: Bei Typ IX ist eine große Bandbreite bekannt, von vergleichsweise mild bis schwer betroffen, und auch Erwachsene können sehr wohl Symptome zeigen.
Gut für die Betroffenen: Mit einer Ernährung, die auf die besonderen Bedürfnisse von Glykogenose Typ IX ausgerichtet ist, kann das Auftreten der meisten Probleme verhindert und eine optimale Lebensqualität der Betroffenen erreicht werden. Spätfolgen lassen sich vermeiden, die sich sonst auch bei vermeintlich milden Fällen entwickeln können, zum Beispiel krankhafte Veränderungen des Lebergewebes.
Leider haben Betroffene und Eltern innerhalb der Selbsthilfegruppe Glykogenose Deutschland e.V. feststellen müssen, dass in Deutschland bezüglich Glykogenose Typ IX keine einheitlichen Behandlungsrichtlinien existieren und die Betroffenen von verschiedenen Kliniken teils sehr unterschiedliche Empfehlungen erhalten, manchmal fast gar keine konkreten Empfehlungen. Vielleicht weil diese Stoffwechselstörung einerseits selten und andererseits oft milder ist, findet sie zu wenig Beachtung.
Aus Sicht der Familien ist das schade, weil von einer guten Ernährungstherapie selbst mildere Fälle sehr profitieren können: mehr Energie und Kraft, normales Wachstum, Normalisierung der Blutwerte und ein allgemein besseres Wohlbefinden. Optimal eingestellt können die meisten Betroffenen ein normales Leben mit normaler Lebenserwartung führen, in dem aber die richtige Ernährung und Stoffwechseleinstellung, sowie ausreichend Bewegung, wichtige Rollen spielen.
Bei der Glykogenose Typ IX ist das Enzym Phosphorylase Kinase in Leber und/oder Muskeln nicht voll funktionsfähig. Dieses Enzym spielt eine wichtige Rolle beim Abbau von als Glykogen gespeicherten Energiereserven. Ursache ist eine genetische Veränderung, dabei stehen die verschiedenen Subtypen mit unterschiedlichen Genen in Zusammenhang.
Subtyp Gen Betroffenes Gewebe
IXa (9a) PHKA2 Leber
IXb (9b) PHKB Leber und Muskulatur
IXc (9c) PHKG2 Leber
IXd (9d) PHKA1 Muskulatur
Der Enzymdefekt in der Leber führt dazu, dass der Blutzuckerspiegel nicht lange aufrechterhalten werden kann. Normalerweise wird bei Gesunden nach einer kohlenhydratreichen Mahlzeit ein Teil der Energie in Form von Glykogen in der Leber zwischengespeichert. Wenn einige Zeit nach dem Essen der Blutzuckerspiegel sinkt, fängt die Leber an, das gespeicherte Glykogen langsam wieder abzubauen. So wird der Blutzuckerspiegel normalerweise stabilisiert. Erst nach längerer Zeit ohne Nahrungsaufnahme werden bei Gesunden andere Reserven mobilisiert, um nicht zu verhungern. Wenn jedoch das Enzym Phosphorylase Kinase in der Leber nicht funktioniert wie es soll, ist der Abbau der Glykogenvorräte gestört. Bei den Betroffenen kommt es schon nach wenigen Stunden ohne Nahrung zu einem Hungerzustand, da die vorhandenen Vorräte nicht abgerufen werden können. Die Folge ist eine mehr oder weniger ausgeprägte Unterzuckerung, in Kombination mit vermehrter Bildung von Ketonkörpern als Zeichen des Hungerstoffwechsels (Ketose). Im Hungerstoffwechsel werden nicht nur Fettreserven, sondern auch die Muskeln abgebaut und das Muskeleiweiß in Blutzucker umgewandelt (Gluconeogenese). Im Laufe der Zeit wird in der Leber übermäßig viel Glykogen, und aufgrund des Hungerstoffwechsels auch Fett, gespeichert.
Bei den Subtypen mit Muskelbeteiligung treten ähnliche Probleme auch in den Glykogenspeichern in der Muskulatur auf. Die Speicherung von Glykogen funktioniert, jedoch ist der Abbau gestört. Brennstoff für die Muskelarbeit steht daher nur eingeschränkt zur Verfügung. Die Muskelkraft ist herabgesetzt.
Der seltene und rein muskuläre Typ IXd nimmt innerhalb Typ IX eine Sonderstellung ein, da sich Symptome und Therapie deutlich von den anderen Typ IX Subtypen unterscheiden können. Die vorliegende Beschreibung bezieht sich in erster Linie auf die Subtypen mit Leberbeteiligung.
Die Glykogenose Typ IX gehört wie auch die Typen 0, III und VI zu den ketotischen Glykogenose-Typen. Sie werden so genannt, da es durch den rasch einsetzenden Hungerstoffwechsel schnell zur Bildung
von reichlich Ketonkörpern kommt, was bei Gesunden erst nach längerem Fasten oder bei spezieller
Diät auftritt.
Die Bezeichnungen einiger Glykogenose-Typen haben sich im Laufe der Zeit immer wieder geändert. So wurde Glykogenose Typ IX früher auch als Typ VIb oder Typ VIII bezeichnet. Umgekehrt wurden andere Störungen, zum Beispiel der sich ganz anders äußernde Phosphoglycerat-Kinase-Mangel (Gen PGK1), manchmal als Typ IX bezeichnet. Dieser Text folgt den aktuellen Bezeichnungen, wie sie auch die unter Medizinische Fachinformationen gelistete Literatur verwendet und bezieht sich somit ausschließlich auf das Enzym Phosphorylase Kinase.
Viele der betroffenen Kinder werden zwischen dem 4. und 18. Lebensmonat erstmalig auffällig. Bis zur richtigen Diagnose ist es aber manchmal ein sehr langer Weg und nicht alle Fälle werden jemals richtig erkannt.
Je nach Subtyp und individuellem Fall bemerken Betroffene bzw. deren Eltern Symptome wie beispielsweise einen durch die vergrößerte Leber vorgewölbten Bauch, Heißhunger, oder aber Essverweigerung, Verdauungsprobleme, unruhigen Schlaf mit schweißiger Haut und morgendliche Übelkeit. Viele Kinder sind eher klein für ihr Alter. Die motorische Entwicklung kann verzögert sein. Typisch ist auch ein rundes „Puppengesicht".
Bei Blutuntersuchungen zeigen sich häufig erhöhte Leberwerte, erhöhte Blutfettwerte und/oder erhöhte Muskelwerte. Nach längerer Nüchternzeit ist der Blutzucker niedrig und die Ketonwerte im Blut sind erhöht. Bei einer Ultraschalluntersuchung fällt oft eine vergrößerte Leber auf. Bei muskulärer Beteiligung wird eventuell Muskeleiweiß (Myoglobin) im Urin gefunden.
Viele unbehandelte Betroffene sind muskulär eher schwach und haben wenig Energie und Ausdauer. Dies gilt, bei ungünstiger Stoffwechseleinstellung, sogar für die reinen Leber-Subtypen.
Typische Symptome einer akuten Unterzuckerung sind beispielsweise Schwitzen, Herzjagen, Blässe um Mund und Nase, Heißhunger und Zittern. Außerdem können Konzentrations- und Verhaltensstörungen auftreten, die manchmal als Aggressivität oder Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) fehlgedeutet werden. Bei sehr ausgeprägter Unterzuckerung können selten sogar Krampfanfälle und Bewusstlosigkeit auftreten.
Bei Typ IX ist eine große Bandbreite bekannt, von relativ milden bis schweren Fällen. Bei vielen Betroffenen lassen Unterzuckerungssymptome nach der Pubertät aufgrund des abgeschlossenen Wachstums nach. Die Stoffwechselstörung besteht dennoch lebenslang: Auch Erwachsene können - unbehandelt - durchaus ausgeprägte Symptome zeigen und Spätfolgen entwickeln.
Die Bestätigung eines Verdachts auf Glykogenose Typ IX erfolgt inzwischen am besten über einen Gentest, für den lediglich etwas Blut oder Speichel benötigt wird. Eine Leber- oder Muskelbiopsie kann somit vermieden werden.
Da die verschiedenen Subtypen durch Veränderungen in unterschiedlichen Genen verursacht werden, und andere Glykogenose-Typen zum Teil ähnliche Symptome aufweisen, bietet sich ein sogenanntes Genpanel an: Bei Einsatz des „Next Generation Sequencing" Verfahrens können innerhalb weniger Wochen mehrere Gene gleichzeitig untersucht werden. Es sollten sämtliche Glykogenose-relevanten Gene sowie weitere mit Unterzuckerungen in Verbindung stehende Gene eingeschlossen werden. So können auch Mischtypen am besten erkannt werden.
Selbst mit einem breit angelegten Test gelingt die genetische Bestätigung des klinischen Verdachts nicht immer. Wenn das klinische Bild dafürspricht, und die Therapie anschlägt, kann eventuell eine Diagnose ohne genetische Bestätigung erfolgen.
Am häufigsten kommt der Subtyp IXa vor. Dieser betrifft, wie auch der seltene Subtyp IXd, wegen der X-chromosomalen Vererbung in erster Linie Jungen bzw. Männer.
Die anderen Subtypen sind aufgrund der autosomal-rezessiven Vererbung bei beiden Geschlechtern gleich häufig.
Selbst bei einfachen (Über-)Trägern eines Gendefekts - laut medizinischem Lehrbuch sollte dieser Zustand eigentlich irrelevant sein - kann es zu Symptomen kommen.
In Deutschland existieren bisher keine einheitlichen Behandlungsrichtlinien zu den ketotischen Glykogenose-Typen, und neben dem nachfolgend vorgestellten Therapieansatz verfolgen Kliniken auch andere Ansätze, zum Beispiel fettbetonte (ketogene) Diäten, Nicht-Behandlung milderer Fälle oder eine nächtliche Dauersondierung per Magensonde. Der hier beschriebene Behandlungsansatz basiert auf der Langzeit-Erfahrung großer internationaler Glykogenose-Zentren und viele Betroffene innerhalb der Selbsthilfegruppe haben sehr gute Erfahrungen damit gemacht:
Durch die Ernährungstherapie wird angestrebt, den Blutzuckerspiegel möglichst stabil zu halten. Gleichzeitig soll durch eine eiweißreiche Ernährung der erhöhte Proteinbedarf gedeckt werden, der durch die Verwendung von Eiweiß als alternativer Energiequelle entsteht.
Um Unterzuckerungen und einen ausgeprägten Hungerstoffwechsel (Ketose) zu vermeiden, ist es wichtig, nicht zu große Pausen zwischen den Mahlzeiten zu halten. Langsam verdauliche Speisen mit vielen Ballaststoffen, zum Beispiel Vollkornprodukte, sind zu bevorzugen. Die Aufnahme von Kohlenhydraten aus dem Darm kann durch gleichzeitigen Verzehr von Eiweißen und Fetten verzögert werden.
Gute Eiweißquellen, um den erhöhten Proteinbedarf abzudecken, sind zum Beispiel ungesüßter Magerquark, Skyr, Fisch, Fleisch oder Sojabohnenprodukte.
Nicht nur zu niedrige Blutzuckerspiegel sind zu vermeiden, sondern auch zu hohe, da der überschüssige Zucker sonst eingespeichert wird. Dadurch werden Leber und/oder Muskeln belastet. Es wird empfohlen, vor allem die Menge an Einfachzuckern je Mahlzeit und Snack stark einzuschränken. Auch sonstige kohlenhydratreiche Lebensmittel wie Brot, Kartoffeln und Nudeln sollten begrenzt werden.
Ungekochte Maisstärke spielt eine wichtige Rolle in der Ernährungstherapie. Für viele zunächst überraschend: Es geht hier tatsächlich um handelsübliches „Mondamin" aus dem Supermarkt! Wenn die Maisstärke zum Beispiel in kaltem Wasser, kalter Milch oder Naturjoghurt aufgelöst und dann frisch eingenommen wird, wird diese sehr langsam verdaut und gibt ihre Energie nur allmählich frei. Dadurch kann der Blutzucker erstaunlich gut stabilisiert werden, was vor allem nachts die tolerierbaren Abstände zwischen den Mahlzeiten deutlich verlängert.
Um den hohen Eiweißbedarf Tag und Nacht abzudecken, wird häufig zusätzlich ein Proteinpräparat eingesetzt. Viele Betroffene nehmen abends vor dem Schlafengehen und eventuell auch nachts und tagsüber ihre „Powershakes" aus Maisstärke und Proteinen ein.
Bei einigen Patienten kann eine modifizierte Maisstärke („Glycosade") statt handelsüblicher Maisstärke die nächtliche Nüchternzeit weiter ausdehnen. Bei jüngeren Kindern erfolgt die Freisetzung von Energie daraus aber eher schon wieder zu langsam, und nicht alle Betroffenen vertragen dieses Präparat gleich gut.
Die richtige Stoffwechseleinstellung sollte regelmäßig mit Messgeräten kontrolliert werden, wie sie auch Diabetiker verwenden. Nicht alle Geräte sind für die bei Glykogenosen eher niedrigen Blutzuckerspiegel gleichermaßen geeignet.
Es ist wichtig, nicht nur den Blutzucker zu messen, sondern auch die Ketonkörper im Blut, am wichtigsten dabei morgens vor dem Frühstück. Ein normaler Blutzuckerwert alleine kann bei den ketotischen Glykogenose-Typen zu Trugschlüssen führen: Erhöhte Ketonwerte können einen Energiemangel bzw. eine vorherige oder drohende Unterzuckerung aufdecken.
Stoffwechselspezialisten und Ernährungsberater bitten häufig um detaillierte Ernährungsprotokolle über 2-3 Tage einschließlich Blutzucker-und Keton-Messwerten. Diese Daten dienen, neben den ärztlichen Untersuchungen und den weiteren Blutwerten, als Grundlage für eine Optimierung der Diät und führen zu konkreten Ernährungsempfehlungen sowie Verordnungen der Maisstärke- und Proteinmengen. Regelmäßige Anpassungen sind erforderlich, ganz besonders bei Kindern und Jugendlichen aufgrund des Wachstums. Im Erwachsenenalter besteht wegen des sinkenden Energiebedarfes die Gefahr einer Überdosierung vor allem von Maisstärke, was zu Übergewicht und anderen Problemen führen kann.
Eltern und erwachsene Betroffene aus der Selbsthilfegruppe können bestätigen, dass sich unter einer solchen Ernährungstherapie nicht nur Blutwerte und Wachstum normalisieren, sondern auch viele Aspekte der allgemeinen Lebensqualität verbessern können: Betroffene berichten über mehr Kraft, Energie und Konzentrationsvermögen. Außerdem fühlen sie sich ausgeglichener, wenn der Körper nicht immer wieder an seinen Reserven kratzen und daher vermehrt Stresshormone ausschütten muss. Die Ernährungsbesonderheiten empfinden viele Betroffene als gut umsetzbar. Nebenbei wird auch ungünstigen Spätfolgen vorgebeugt.
Betroffene oder Eltern von Betroffenen stehen nach der Diagnose vor vielen Herausforderungen, um medizinische Erfordernisse, eine optimale Lebensqualität und möglichst viel Normalität unter einen Hut zu bringen. Jeder Fall ist unterschiedlich. Bei vielen Details muss individuell im Alltag ausprobiert werden, wie man die Therapieempfehlungen am besten in die Praxis umsetzen kann.
Sehr hilfreich empfinden viele Familien dabei den Austausch mit anderen Betroffenen. Die Selbsthilfegruppe Glykogenose Deutschland e.V. bietet einen solchen Austausch an, unter anderem durch eine jährliche Tagung für Betroffene und deren Familien, bei der auch medizinische Vorträge und Workshops zu Typ IX und den anderen ketotischen Glykogenose-Typen stattfinden. Im jährlich erscheinenden Mitgliedermagazin Glykopost finden sich Zusammenfassungen unserer Tagungen und anderer Aktivitäten. Weiterhin existiert ein geschlossenes Online-Forum zu den Glykogenose Typen 0/III/VI/IX, über das ein schneller und informeller Austausch möglich ist.
Während die Selbsthilfegruppe sich ursprünglich eher an die schwereren Glykogenose-Typen (insbesondere Typen I und II) gewendet hat, finden immer mehr von den ketotischen Typen Betroffene und deren Angehörige den Weg in die Patientenvereinigung.
Die SHG Glykogenose Deutschland e.V. steht mit führenden Glykogenose-Experten in Deutschland und der ganzen Welt in Kontakt und kann Hinweise zu neuester Forschung und Expertenerfahrung geben.
Die hier veröffentlichten Inhalte wurden von Mitgliedern der Selbsthilfegruppe nach bestem Wissen und mit größter Sorgfalt erstellt. Sie dienen der allgemeinen Information.
Für die Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität der Inhalte können wir jedoch keine Gewähr übernehmen. Alle individuellen Fragen zu Diagnose, Therapie und Verlauf müssen immer mit den betreuenden Ärzten und Ernährungsberatern abgestimmt werden.
Koordinatorin Glykogenose Typen 0, III, VI, IX (ketotische Typen), IPKH
Christiane Sackstetter
Telefon: 08102/806 045 9
E-Mail: sackstetter@glykogenose.de
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Vorlage zur Verwendung bei Ketotischen Glykogenose Typen
Vorlage zur Verwendung bei Ketotischen Glykogenose Typen
Präsentation mit Erläuterungen von PD Dr. med. Sarah Grünert (Uniklinik Freiburg)
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